Clara und William Stern: Die Kindersprache

Er erfand den ersten Intelligenzquotienten, begründete die Persönlichkeitspsychologie und war in mehrfacher Hinsicht ein Pionier seines Fachs: der Psychologe William Stern. Als ersten Teil einer Studienreihe zur seelischen Entwicklung des Kindes legte er 1907 zusammen mit seiner Frau Clara den Band »Die Kindersprache« vor.

Als bevorzugte Studienobjekte hatten dem Psychologen-Ehepaar die eigenen Kinder Hilde, Günter und Eva sowie der Nachwuchs befreundeter Wissenschaftler gedient. Durch deren genaue Beobachtung kamen sie zu der Erkenntnis, dass die damals von der Forschung vernachlässigte Sprachentwicklung des Kindes etwas anderes ist als ein »schwerfälliger Werdeprozess der Vollsprache«: dass aus Kindern auch nicht nur das herausschallt, was man sie hineinruft, sondern dass sie durchaus selber sprachschöpferisch tätig sind.  Dies geschähe »im freien Schalten und Walten mit dem gegebenen Material«, womit sie auch die Familiensprache mitprägen.

Strukturiert in Kapitel wie »Ableitungen«, »Schallnachahmungen« oder auch »Kindesetymologien« bringen die Autoren Beispiele, die aufschlussreich und oft auch amüsant sind – etwa »Brennlicht« für Stern, »Rauche« für Zigarre oder »Schießtole« für Pistole. Kurios: Eines der Stern-Kinder war der spätere Autor und Philosoph Günther Anders (1902-1992). Hier finden sich seine frühesten sprachlichen Äußerungen dokumentiert.

Mit der Untersuchung der Kindersprache lenkten die Sterns die Aufmerksamkeit der Wissenschaft auf die gesprochene Sprache. Ihre Erkenntnisse von 1907 waren so grundlegend, dass die Studie bis 1928 drei weitere, ergänzte Auflagen erlebte und zu einem Standardwerk avancierte. Das überdauerte auch die erzwungene Emigration ihrer Verfasser in die USA und deren Tod: Von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft wurde die vierte, neubearbeite Auflage von 1928 zuletzt 1987 neu aufgelegt.

Das Buch ist antiquarisch erhältlich, online z.B. bei abebooks.de oder booklooker.de.