Graeber: Schulden

»Niemand hat das Recht, uns zu sagen, was wir wirklich schulden. Niemand hat das Recht, uns zu sagen, was wir wirklich wert sind. « Diese letzten Sätze stammen nicht aus einem psychologischen Wohlfühlbuch oder einem Ratgeber zur Stärkung des Selbstbewusstseins. Im Sinne ihres Urhebers sind sie wohl eher mit Sprengstoff zu vergleichen. Sie stammen aus einer inzwischen zum Klassiker gewordenen Abrechnung, einer Analyse von ein paar tausend Jahren Menschheitsgeschichte – und sie können das Glaubenssystem vieler moderner, sich selbst als unreligiös einschätzender Menschen erschüttern.

David Graeber hat sie während der letzten großen Finanzkrise geschrieben. Sein Buch »Schulden. Die ersten 5000 Jahre« wurde damals zum Medienereignis, auch weil die Zeit reif war für neue Erklärungen für die Katastrophen an den Finanzmärkten. Es war die Zeit der Occupy-Bewegung und Zentralbank-Bazookas, der Rettungsfonds und Schuldenbremsen. Inzwischen kann man David Graebers Buch ohne die Brille der Tagesaktualität (wieder) lesen. Dabei wird man nicht nur feststellen, wie sehr manche Begriffe aus Religion und Moral (»Vergebung«, »Sünde«, »Schuld«) mit wirtschaftlichen Verhältnissen zu tun haben, mit Abhängigkeiten, mit Konflikten zwischen Arm und Reich. Man kann auch eine erschreckende Erkenntnis aus diesem anthropologischen Parforceritt durch die Geschichte der Schulden ziehen: Wie unglaublich hartnäckig eine Schuldner-Gläubiger-Moral immer noch verteidigt wird (»Schulden müssen immer beglichen werden«), sogar wenn sich deren zerstörerischen Konsequenzen längst schon zeigen. Und das ist dann regelmäßig wieder sehr tagesaktuell.

David Graeber: Schulden. Die ersten 5000 Jahre, Klett-Cotta 2012, 27 Euro